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Die Hochzeit
Aufgeschmückt ist der Freudensaal. 
                    Lichterhell, bunt, in laulicher Sommernacht 
                    Stehet das offene Gartengezelte; 
                    Säulengleich steigen, 
                    Reichlich durchwirket mit Laubwerk, 
                    Die stolzen Leiber 
                    Sechs gezähmter, riesige Schlangen, 
                    Tragend und stützend das 
                    Leicht gegitterte Dach.
Aber die Braut noch wartet bescheiden 
                    In dem Kämmerlein ihres Hauses. 
                    Endlich bewegt sich der Zug der Hochzeit, 
                    Fackeln tragend, 
                    Feierlich stumm. 
                    Und in der Mitte, 
                    Mich an der linken Hand, 
                    Schwarzgekleidet geht einfach die Braut; 
                    Schöngefaltet ein Scharlachtuch 
                    Liegt um den zierlichen Kopf geschlagen. 
                    Lächelnd geht sie dahin; 
                    Das Mahl schon duftet.
Später, im Lärmen des Fests, 
                    Stahlen wir seitwärts uns beide 
                    Weg, nach den Schatten des Gartens wandelnd, 
                    Wo im Gebüsche die Rosen brannten, 
                    Wo der Mondstrahl um Lilien zuckte, 
                    Wo die Bäume vom Nachttau troffen.
Und nun strich sie mir, stillestehend, 
                    Seltsamen Blicks mit dem Finger die Schläfe: 
                    Aber gestärkt vom Wunderschlafe 
                    Bin ich erwacht zu glückseligen Tagen, 
                    Führte die seltsame Braut in mein Haus ein.
(Eduard Mörike)
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